Poster, English, No Binding, 1 Pages, 2007
I forgot 1988
Korrosion Kindheit // 1988 war Siggi Hofer – „der Künstler, der fiktive Welten schafft, diese mit realen Ereignissen mischt“ (Siggi Hofer) – 18. Das ist 19 Jahre her – der Künstler hat also seither länger gelebt, als er zu diesem Zeitpunkt bereits lebte; muß man daraus schließen,
es habe sich so gewaltig viel an Erinnerungsmasse aufgetürmt währenddem, daß dieses eine Jahr, mit 18 erlebt und 19 Jahre vorbei, bereits in den Orkus des Nicht-mehr Wissens rutschen musste? 1989, da war freilich was, aber 1988?
Die Fotografie, die die Einladungskarte ziert, zeigt einen rehäugigen jungen Mann mit langem Haar und schmächtigem Bart, der von einer Blätterkrone umgeben direkt am Stamm eines Baumes vorbei prüfend in das Objektiv der Kamera schaut. Das Foto stammt neben einem weiteren in der Ausstellung als C-Print präsentiertem Portrait einer jungen Frau in derselben Situation vom Beginn der Studienzeit des Künstlers in Graz. Die Dame ist eher von oben, der Herr eher von unten aufgenommen, woraus man folgern könnte, sie hätten im oder unterm Baum einander gegenüber gesessen und gesagt: komm, damit wir das nicht vergessen, mach ich ein Foto von dir und du eins
von mir.
Beide sehen so aus, als hätten sie nicht besonders aussehen wollen, aber es besonders gefunden, mit Kamera einander festzuhalten. Diese Arbeiten bilden den Schlusspunkt der ersten Einzelpräsentation von Siggi Hofer in der Galerie Meyer Kainer im Mezzanin. Was sie und er nicht vergessen haben von 1988 oder doch – das Angenehme an Bildern ist ja, man kann sie viel fragen, aber sie quatschen nicht dazwischen, wenn man die Fragen für sie (nicht) beantwortet.
Wenn Siggi Hofer 1988 komplett vergessen hätte, wüsste er auch nicht, dass er 1988 vergessen hat; der Titel ist also ein rhetorisches Paradox. Und weil er nicht vergaß, hat er’s forgotten; die (nicht komplette) Entfremdung behilft sich fremdsprachig weiter.
Sprache macht Heimat global-partikular. Tatsächlich war ein russisches Buch mit dem Titel „88“ Anlass für die Beschäftigung des Künstlers mit dieser Zahl, ihrer Parallelität, Spiegelbildlichkeit, der doppelten vertikalen Unendlichkeit. Robert Menasse, als dessen Lieblingszahl die 8 gilt, schreibt in seinem kürzlich erschienenen Roman „Don Juan de la Mancha“, erwachsen zu sein hieße, Herrschaft anzutreten. Beispiel dafür sei die stilistische Aufnahme des 50er-Jahre-Designs in den Innenausstattungen der in den 80ern in Wien neu gegründeten Caféhäuser und Restaurants – die in den 80ern Dreißigjährigen ahmten ihre Kindheit nach: „Der Schritt vom Kinderzimmer in den öffentlichen Raum ist das Entscheidende, und nicht die Tatsache, dass der öffentliche Raum wie ein Kinderspielplatz aussah – das hat er immer getan“. Robert Menasse war während der 80er fast so alt wie Siggi Hofer heute ist.
Die Welt, die Siggi Hofer präsentiert, sieht aus wie eine Mischung aus dem Prinzip von Modellbaukästen, typographischen Skizzen und Kinderbildmaterial: Tusche und Aquarell, beides geruchsarm und halbwegs auswaschbar. Zwei sehr großformatige farbige Zeichnungen (Land II, 152 x 201 cm, Land I, 152 x 207 cm) zeigen dampferförmige Erdkuchen, deren Oberfläche zwischen saftigem Grün mit vielgestaltigen Gebäuden und infrastrukturell mit Flugzeugen und Eisenbahnen voll erschlossen ist. Man sieht vorläufig allenfalls Flugzeuge ins Umgebungsweiß trudeln; Wälder und Autos gibt es keine, aber schon noch freie Wiesen.
Die Hängung verbindet in lockerer Pendantbeziehung die unteren Räume miteinander und erlaubt sich interessante Schrägen. Im Hauptraum erschwert beziehungsweise begrenzt ein Geländer die Besichtigung. Vorbild für die Holzlasercutnachbildung ist das Geländer um die Terrasse des mütterlichen Hauses. Auf einem Ende ist eine Papierreplik des Ischtar-Tors angebracht. Manche Arbeiten hängen auf Geländerhöhe, andere dezidiert höher; die einzigen Figuren, seltsam unauffällige Comicgebläse, luftballonleicht und ohne Schutz von Rahmen und Glas, sind fast unter die Decke gepinnt (Chicago ca. 200x150 cm, New York, ca. 180x150 cm) New York. Alles ist 2007
entstanden. Der Gesamteindruck hinterlässt das Gefühl, den Entwurf einer möglichst schönen Kindheit besichtigt zu haben, über die man Scheu hat, zu sprechen, als würde dadurch die Erinnerung verblassen können.