Magazine, German, Glue Binding, 247 Pages, 2004
Texte zur Kunst - Heft 56 (Dezember 2004)
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Am Anfang dieser Ausgabe standen Modebegeisterung und Modekritik zugleich. So konnten wir stundenlang von den Entwürfen bestimmter Designer ihren Anzeigenkonzepten, bemerkenswerten Modefotografien oder ästhetisch ansprechenden Bildstrecken in Modezeitschriften schwärmen – und zugleich vom Luxuskonsum und der ihm inhärenten Reproduktion von Ungleichheitsstrukturen angewidert sein.
Die sich fast automatisch einstellende Doppelschwingung zwischen diesen Extremen ließ uns den Versuch unternehmen nach neuen Modellen von Konsumkritik Ausschau zu halten — einer Kritik mithin, die im besten Falle nicht auf der Prämisse von Distanz beruht, sondern die eigene Involviertheit einbezieht. Diese Form der Kritik sollte dem Zeitalter des „Massenkonsum-Kapitalismus" (Karl-Siegbert Rehberg) Rechnung tragen und zeigen, wie dieser soziale Ungleichheit zugleich verdeckt und bestätigt. Muss ein solcher Ansatz nicht notwendig auf Kosten der Modeemphase gehen? Das Risiko besteht. Doch für eine Klärung des Faszinationspotentials von Mode ist es nicht unbedingt erforderlich, sich in die Kleider selbst einzufühlen, sich mit ihrer Materialität, ihren Stoffen, Nähten und Entwürfen aus einer phänomenologischen Perspektive zu befassen. Dafür, dass die Mode uns in ihren Bann schlägt, sind nämlich nicht in erster Linie die intrinsischen Eigenschaften ihrer Produkte verantwortlich. Sie ist eine normative Vorgabe, die Artikulationen von Identität erlaubt und mitunter auch erzwingt. Statt also einzelne modische Konsumgüter einer detaillierten Analyse zu unterziehen, interessierte uns die Mode als soziales System mit eigenen Kriterien und Gesetzmäßigkeiten. In ihrer Wirkungsweise und in ihrer Eigenschaft als Produzentin von Subjektivitäten gleicht sie einem „Anrufungssystem", dem man sich schlicht nicht entziehen kann.Betrachtet man die Funktionsweise dieses Modesystems, dann wird man feststellen, dass es gleichermaßen durch ökonomische Zwänge wie durch individuelle Handlungsräume bestimmt ist. Mode macht bestimmte Verfahrensweisen und Subjektpolitiken möglich. Aber welche „Freiheiten" haben die Produzent/innen hier, auch im Vergleich zu traditionell künstlerischen Subjektivitäten? Allen voran äußert sich der unangefochtene Modekaiser zu diesem Thema: Karl Lagerfeld. Im ultimativen Interview mit Jutta Koether reflektiert er seine Arbeits- und Denkweise. Sein Blick auf den Markt ist ebenso illusionslos wie der, den Walter Benjamin Charles Baudelaire attestierte. In seiner besonderen Verfahrensweise ist er aber auch ausgesprochen eigenwillig und verspielt, Auch Jil Sander nimmt Stellung zu der Frage, welche kreativen Freiräume man als Designer/in unter den Bedingungen korporativer Strukturen eigentlich hat. Sie zeigt sich hier noch gänzlich unbeeindruckt von korporativen Auflagen, hat jedoch — wie kürzlich bekannt wurde erneut das Handtuch geworfen und die Position als kreativer Kopf der Jil Sander AG wieder verlassen (vgl. hierzu das Interview von Stephanie Tasch). Der Designer Jean Touitou, der das Label A.P. C. ins Leben rief, ein Label, das zeitlose „Basic"-ldiome mit saisonalen Trends auf kongeniale Weise versöhnt, geht seinerseits so weit, seine ganz Zunft zu entmystifizieren. Er weist darauf hin, dass Trends keineswegs von Modemacher/innen, sondern von Moderedakteur/innen gemacht werden, deren Vorgaben die Designer/innen gleichsam Folge leisten. Die Bedeutung der Rezeption für die Produktion von Mode hat in den letzten Jahren weiter zugenommen, etwa wenn man an „Streetwear" denkt oder die Rolle, die Trendsetter in den Modezeitschriften spielen. Von einem „Trickle-down-Effekt" kann längst keine Rede mehr sein. Es gehört zu den Paradoxien der Mode, dass die „Haute Couture" parallel zu dieser „Demokratisierung" derzeit so präsent ist wie noch nie.Wenn diese Ausgabe den Akzent auf „System" und „Produktion" der Mode legt, dann unter der Prämisse, dass die Produktion zu reflektieren immer auch eine Reflexion des Marktes bedeutet. Kein Designer hat freie Hand — ebenso wenig wie bildende Künstler — nur sind Designer in einem ganz anderen Ausmaß an bestimmte kommerzielle Auflagen gebunden. Das Modesystem zu studieren heißt mit anderen Worten, dass man das in den Blick nimmt, was möglicherweise auf uns zu kommt.Traditionell hat das Modesystem die Kunst anzuzapfen versucht, und auch von der Kunst aus wurden begehrliche Blicke auf die Mode geworfen. Ein seit Jahrzehnten fast konkurrenzlos stark umworbenes Produktions- und Konsumptionsmodell ist Andy Warhol. Er wird nicht nur von zahllosen Modeschöpfern verehrt, sondern hat auch Entscheidendes zu sämtlichen Diskussionen über die Problematik der Warenförmigkeit beitragen können, wie auch der Artikel von Diedrich Diederichsen zur Kritik der Verpackung in dieser Ausgabe zeigt. Die Künstler-als-Produzent-Rolle hat mit Warhol die entscheidende Veränderung erfahren. Aber auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Couturiers, die sich im Vorfeld von Jugendstil und Bauhaus ganz bewusst wie Künstlertypen gebärdeten und ihr Ebenbild in der Spiegelfläche des als nochmals „anders" definierten Künstlertums suchten. Umgekehrt stellten sich bildende Künstler oft in den Dienst der Modemacher, etwa um ihr Briefpapier zu gestalten oder Logos für sie zu entwerfen (vgl. auch den Text von Nancy J. Troy). Heute schließlich ist die Beobachtung zu machen, dass die Kunst, was Produktions- und Konsumptionsmuster betrifft, immer „modeförmiger" wird (vgl. hierzu den Text von Isabelle Graw) und der Eintritt der Mode in die Kunst von einem gesteigerten Interesse der Designer an bildenden Künstler/innen begleitet wird (vgl. hierzu das Interview mit Rachel Feinstein). Nur ist Mode im Gegensatz zur Kunst eine Industrie, die auf Massenproduktion und Massenkonsum basiert. Es ließe sich jedoch die These aufstellen, dass die Kunstwelt ihrerseits mehr und mehr die Züge einer „visuellen Industrie" angenommen hat. Auch hier regieren mittlerweile korporative Strukturen, und das Celebrity-Prinzip hat sich durchgesetzt. Der Markt ist so definitionsmächtig wie noch nie und der neue Glaube der Kunstwelt heißt „Ökonomie". Die Modewelt kann hier als Matrix fungieren, die einen die Veränderungen im Kunstbetrieb besser verstehen lässt. (Editorial) Sprache: Deutsch/Englisch