Ursprung
Ursprung, Gedächtnis und Fotografie
Man fragt mich oft, warum sehen deine Fotografien so alt aus, bist du nostalgisch?
Es ist das Gegenteil der Fall, eine nostalgische Person sehnt sich zurück in die Vergangenheit, ich habe ein Leben lang versucht, mich von der Vergangenheit zu lösen. Damals, in der Nachkriegszeit, als Kind, habe ich begonnen, mentale Bilder zu sammeln. Motive wie zum Beispiel die von Bomben beschädigten Häuser in Graz, ich beobachtete Invaliden sowie Hausmeister und staunte über Schaufenster und Dampflokomotiven. Als Fünfjähriger wurde ich Zeuge von brutalen Schlachtszenen, konnte aber mit niemandem darüber sprechen. Solche Bilder, die ich sah und oft gar nicht oder nur zum Teil verstand, sparte ich in mir wie Knoten an einer Schnur.
Der italienische Schriftsteller Cesare Pavese hat einmal die Plätze der Kindheit heilige Räume genannt, weil ein Kind da ein Stück Welt aus erster Hand und ganz für sich allein erlebt, aber erst einem reifen Menschen kann dies bewusst werden.
Meine frühen Jahre haben mir aber nicht nur tief gehende Erfahrungen gebracht sondern auch Energie und Inspiration geschenkt, um die Eindrücke von damals wieder aufzugreifen. Später habe ich die mentalen Bilder der Kindheit unbewusst gesucht, gefunden und fotografiert, ich habe aber auch Bilder rekonstruiert und gebaut nur um sie zu fotografieren. Diese Fotografien waren für die Auflösung von unerwünschten Eindrücken besonders hilfreich. Sie ermöglichten mir das Unverstandene fertig zu schauen und mich von tief liegenden Erfahrungen zu lösen. Es ist nicht so einfach, wie man glaubt, bewusst zu werden und Geschehenes zu verstehen, jedenfalls ist es gleich anstrengend wie einen hart angezogenen Knoten an einer Schnur wieder aufzulösen.
Otmar Thormann geboren 1944 in Graz. Lebt und arbeitet in Stockholm.
Quelle: Fotohof