Hard Cover, German, Thread Stitching, 240 Pages, 2016, Revolver Publishing by VVV
Zwei Räume für sich allein. Maria von Gneisenau und Schloss Molsdorf
Maria von Gneisenau (1873 Elberfeld -1926 Berlin) erwarb Schloss Molsdorf 1909 nach ihrer Scheidung vom Urenkel des berühmten Generalfeldmarschalls. Die zweifache Mutter betrieb den Umbau des Anwesens als künstlerisches Projekt, das ihr half, eine Sinn- und Lebenskrise zu überwinden. Davon künden vor allem zwei einmalige Wohnräume, mit deren Entwurf und Ausführung die Gräfin 1909 Paul Schultze-Naumburg und die Saalecker Werkstätten beauftragte: ein kostbar ausgestattetes Marmorbad und ein fantastisch dekorierter Ruheraum, der mit einem Aquarium vor dem hohen Fenster weniger an eine Grotte als an den Meeresgrund erinnert.
1914 ließ die Gneisenau ferner den Pavillon im Schlossgarten zur Automobilgarage umbauen und übertrug das an sich schon bemerkenswerte Vorhaben noch dazu einer Frau: Emilie Winkelmann gilt als erste freie deutsche Architektin überhaupt.
Mit der vorliegenden, aufwendig gestalteten Publikation werden trotz schwieriger Quellenlage erstmals Biografie und Persönlichkeit einer bislang recht unbekannten Dame vorgestellt. Diese muss hinsichtlich ihres Lebensmodells wie Kunstgeschmacks sicher als konservativ-traditionell gelten. Umso interessanter erscheinen daher ihre Versuche, sich als Frau zu emanzipieren und sich als Schriftstellerin zu betätigen. Die Gräfin war Harry Graf Kessler im Berliner Haus ihres Halbbruders Karl von der Heydt begegnet und mit Sophie Hoechstetter und Rainer Maria Rilke bekannt. Ihr nun erstmals edierter und publizierter Briefwechsel mit dem Dichter gibt nicht nur über das Verhältnis von Mann und Frau Auskunft. Er beleuchtet auch das Rollenbild des Künstlers wie das der Frau von Stand und somit die unterschiedlichen (bürgerlichen und aristokratischen) Auffassungen von Kunst und Leben. Sowohl die Gneisenau als auch Rilke nutzten verschiedene Kunstformen zur Selbstinszenierung und -stilisierung. Dabei war auch Schloss Molsdorf von Bedeutung, dessen modernes Baugeschichtskapitel mit der vorliegenden Publikation erstmals und reich bebildert dokumentiert wird. Das Design des Buches spiegelt einerseits die Aufmachung der Publikationen der Gräfin wider. Es verbindet aber auch und besonders typografisch Vergangenheit mit Gegenwart. Im zweiten Teil des Buches werden noch dazu ausgewählte Arbeiten von Delphine Courtillot, Jorge Chamorro, Wiebke Meurer und Sarah Westphal vorgestellt. Deren Positionen aktueller Kunst und zeitgenössischen Designs reflektieren (auch im Rahmen einer Ausstellungsreihe 2016 auf Schloss Molsdorf) Eigenschaften und Phänomene, die schon Anfang des 20. Jahrhunderts \modern\ und für Maria von Gneisenau bedeutsam waren. Bis heute haben sie nichts an Faszination verloren: Das durchaus modebewusste und literarisch inspirierte Aus- und Anprobieren verschiedener weiblicher Rollen und Identitäten sowie das Aufbrechen von stereotypen Geschlechterbildern, eine bisweilen dekadente Vorliebe für alles Dekorative sowie Zeitschichten und Atmosphären, die sich in Wohnräume einschreiben. Mit Texten von Susanne Längle, Dirk Naguschewski, Silke Opitz und Lut Pil. Maria von Gneisenau (b. 1873 Elberfeld